Von der Qualle bis zum Riesenhai: Wir entwickeln 100 neue Zeichen, um die Verbindung gehörloser Menschen zum Meer zu stärken
Wenn gehörlose Menschen, darunter Schüler, Lehrer und Wissenschaftler, über Meerestiere wie den Kurzflossen-Mako, die Unechte Karettschildkröte oder das winzige Phytoplankton sprechen, müssen sie normalerweise jeden Begriff Buchstabe für Buchstabe buchstabieren. Da es für viele Meerestiere und -konzepte keine spezifischen Zeichen in der britischen Gebärdensprache (BSL) gibt, ist es schwierig, sinnvolle Gespräche über den Meeresschutz zu führen, ohne auf mühsames Fingeralphabet zurückzugreifen.
Diese Lücke in der Gebärdensprache behindert nicht nur die Kommunikation, sondern schließt auch einen erheblichen Teil der Bevölkerung von wichtigen Umweltdiskussionen aus. Bislang bezogen sich die meisten marinen BSL-Begriffe auf Nahrungsmittel oder symbolische Tiergruppen wie Wale.
Deshalb haben mein Team und ich gemeinsam mit Projektpartnern aus fünf europäischen Ländern 100 neue Zeichen entwickelt, die es gehörlosen Menschen ermöglichen sollen, sich stärker in den Meereswissenschaften und im Naturschutz zu engagieren – aus pädagogischer und öffentlicher Sicht, und auch um ihnen mehr Karrieremöglichkeiten zu eröffnen.
Im Rahmen eines dreijährigen Projekts namens Muffin (die Abkürzung steht für Marine, Underwater, Fish For Inclusion) werden wir eine Taxonomie von Zeichen erstellen, die mit dem Meer und dem Meeresleben in Zusammenhang stehen, wie etwa Seegras, Strandkrabben, Riesenhaie und Kelp.
Wie alle Gebärdensprachen ist BSL von Natur aus visuell – sie umfasst die Verwendung von Gesichtsausdrücken und Körpersprache sowie Handzeichen. Dadurch eignet sie sich besonders gut für die Beschreibung der dynamischen und vielfältigen Welt des Meereslebens. Anders als gesprochene Sprachen können komplexe Konzepte durch Gebärdensprache visuell erklärt werden, was neue Möglichkeiten zum Verständnis der Meeresökosysteme bietet.
Wiederverwilderung BSL
Hier am Scottish Sensory Centre arbeite ich mit einem Team von 37 gehörlosen Wissenschaftlern, Gebärdensprachlern und Pädagogen aus ganz Großbritannien zusammen. Unser Online-Glossar soll gehörlosen Schülern den Zugang zu Bildung in den Bereichen Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik (MINT-Fächer) erleichtern.
Seit der Einführung des Glossars im Jahr 2007 wurden fast 4.000 Zeichen und dazugehörige Definitionen für wissenschaftliche Begriffe aus zehn Fachgebieten – von Astronomie und Biologie bis hin zu Informatik und Physik – gesammelt und entwickelt.
Wir bauen jetzt auf der jüngsten Arbeit an einem Glossar zu Umweltwissenschaften auf, die von der Royal Society finanziert wurde. Dabei haben wir uns auf einige Begriffe konzentriert, die mit dem Meer und den negativen Auswirkungen der Fischerei in Verbindung stehen – beispielsweise Geisterfischerei, Beifang und Versauerung der Meere. Jetzt erweitern wir das Glossar um spezifischere Meeresarten, und Schulen verwenden dieses wissenschaftliche Glossar bereits, um junge Menschen in Klassenzimmern und Laboren zu unterstützen.
Jedes Land (Malta, Kroatien, Italien, Spanien und Großbritannien) entwickelt derzeit seine eigenen nationalen Gebärdensprachenglossare und Lehrmaterialien, die auf die jeweiligen Bedürfnisse und sprachlichen Gegebenheiten zugeschnitten sind. Dadurch wird es hoffentlich gehörlosen Menschen möglich, sich umfassend an Diskussionen zum Meeresschutz zu beteiligen.
Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern identifizieren wir Meerestiere, die im Mittelmeer und den Gewässern rund um Großbritannien häufig vorkommen, von mikroskopisch kleinem Plankton bis hin zu großen Walen. Anschließend entwickeln wir in Zusammenarbeit mit dem britischen Gebärdenentwicklungsteam und gehörlosen Meeresexperten aus Kanada, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und den USA neue visuelle Zeichen, die einige der Merkmale und Verhaltensweisen dieser Arten darstellen.
Das Zeichen für Qualle könnte beispielsweise fließende Handbewegungen beinhalten, um ihre vielen Tentakeln darzustellen, während das Zeichen für Delfin den charakteristischen Sprung dieses Meeressäugers aus dem Wasser nachahmen könnte.
Während wir diese neuen Schilder mit Meeresbezug weiterentwickeln, arbeiten wir mit Meeresbildungszentren in ganz Großbritannien zusammen, um mehr Ressourcen für junge gehörlose Kinder zu entwickeln, wie etwa Lehrvideos. Indem wir die Kommunikationslücke schließen, ermöglichen wir BSL-Benutzern, sich voll und ganz an Diskussionen über die Zukunft unserer Ozeane zu beteiligen. Dabei geht es nicht nur darum, neue Schilder für komplexe Begriffe zu entwickeln – es geht darum, eine tiefere Verbindung zwischen Menschen und der Meeresumwelt zu fördern.
Audrey Cameron, Kanzlerstipendiatin, Wissenschaftliche Bildung und BSL, Die Universität von Edinburgh